Buchtipps

Für unveräußerliche Werte

Wider die triumphalistische Verwirtschaftung der Welt

Michael J. Sandel
Was man für Geld nicht kaufen kann
Die moralischen Grenzen des Marktes. Ullstein. 300 Seiten. 19,99 €

Dieses Buch steht zu Recht seit Wochen auf der Bestseller-Liste. Das ist bei inhaltswichtigen Büchern selten genug der Fall. Und zu Recht ist Michael Sandel ein Star der philosophischen Szene, ein "Sokrates in Harvard" (Spiegel), der mit seinem "Grundkurs über Gerechtigkeit", den er in Harvard seit gut einem Vierteljahrhundert anbietet, über die Grenzen seines Fachs hinaus berühmt wurde und mehr als 1000 Hörer pro Vorlesung anzieht.
Wer sein Buch in die Hand nimmt, wird es nicht so schnell aus der Hand legen, wird von den scharfsinnigen Fragen, der klugen Argumentation, den vielfältigen Kenntnissen und der moralischen Kraft seiner Diktion fasziniert sein. Das Buch kann so gut wie jeder verstehen. Und es betrifft jeden und jede, wer immer sich in unserer Gesellschaft bewegt und lebt.

Das fatale Triumphgeschrei der "Märkte", die nach dem von ihnen erzeugten Desaster der Finanz- und Wirtschaftskrise inzwischen wieder obenauf sind und – wie gerade für Goldman Sachs gemeldet – wieder mit krummen Touren die neue entwickelten Kontrollen und Reglementierungen zu umgehen wissen, stört Sandel fundamental. Das sitzt jeder Zwischenruf, jedes Argument. Er sucht und findet die "moralischen Grenzen des Marktes", stellt monetäre Anreize auf den Prüfstand. Wer sich auskennt, wird an Fred Hirsch Ende der 80er Jahre erinnert, die die sozialen Grenzen des Wachstums aufzeigte und die Durchökonomisierung der Gesellschaften kritisierte. An ihn denkt auch Sandel, der diesen Ansatz ebenso wie den kritischen Ansatz von Karl-Heinz Brodbeck fortsetzt. Sandel glaubt nicht, dass die Gier als Erklärungsgrund für das das Versagen der Märkte ausreicht: "Die schicksalhafteste Änderung der letzten drei Jahrzehnte war nicht die Zunahme der Gier. Es war die Ausdehnung der Märkte und ihrer Wertvorstellungen in Lebensbereiche, in die sie nicht gehören".

"Alles ist käuflich" ist der triumphale Schlachtruf der Totalökonomisierer. Wenn sich Bundeskanzlerin Angela Merkel die marktkonforme parlamentarische Mitbestimmung als politisches Ziel vornimmt, dann hat sie in Sandel den härtesten Gegner einer solchen Position. Denn mit Geld kann man nicht nur weltweit Privilegien aller Art kaufen wie "das Austragen eine Embryos durch eine indische Leihmutter zu 6250 Dollar", "das Recht, ein schwarzes Nashorn in Südafrika zu schießen" zu 150000 Dollar, für 13 € Euro eine Tonne Kohlenstoff zu emittieren, für 777 Dollar seine Stirn als Werbefläche zu vermieten. Und der Beispiele in Sandels Buch sind kein Ende, teils unfassbar, alle belegt. Es geht schon gar nicht mehr um eine Marktwirtschaft oder um den Typ von Marktwirtschaft wie die soziale, sondern es geht um die Grundfrage: Wollen wir eine Marktgesellschaft? Um darum, dass dies "umstrittene Vorstellungen von einer guten Gesellschaft und von einem guten Leben berühren". Wie wollen wir zusammen leben, was soll unsere Lebenswelt orientieren und dominieren? Die umfassende Kommerzialisierung läuft darauf hinaus, "dass Arme und Reiche getrennte Leben führen". Um sie in einer Lebenswelt zusammen zu führen, muss ökonomisches Denken und Handeln begrenzt und moralischem Denken und Handeln mehr Raum gelassen und gegeben werden. Anstelle von Marktkonformität müssen unveräußerliche Werte unser Leben bestimmen wider die Zwänge einer Geldgesellschaft. Das braucht unsere freie, moralische Haltung mit politischer Courage.

Norbert Copray