Buchtipps

Kooperation wird zur Quelle der Wertschöpfung

Erik Händeler
Die Geschichte der Zukunft
Sozialverhalten heute und der Wohlstand von morgen. Kondratieffs Globalansicht. Brendow. 463 Seiten

Die Wirtschaftswissenschaftler sind mit ihrem Latein am Ende. Wer sich das letzte Wirtschaftsgutachten der Sachverständigenkommission anschaut, kommt nicht umhin, Zweifel an der Wissenschaftlichkeit der Wirtschaftslehre zu haben. Kritische Köpfe wissen schon seit langem: Wissenschaften taugen zur Rekonstruktion von Erfahrungen und Sachverhalten, aber meist nicht zu Prognosen. Allenfalls aktuelle Trends können fortgeschrieben werden – bei Angabe einer langen Liste von Wenn und Aber. So müssen sich auch die Wissenschaftler als Suchende outen – und der Ball liegt wieder im Spielfeld der Politik: Wie kommen wir weiter? Was können wir wollen?
Nikolai Kondratieff hat das mechanistische und naturwissenschaftliche Verständnis von Wirtschaft durchbrochen. Für ihn gehört die Wirtschaftslehre in die Gesellschaftswissenschaften: es geht um ganzheitlicheres Wahrnehmen und Verstehen. Kondratieff war Direktor für Statistik und Wirtschaft in Petersburg. 1892 geboren, wurde er 1938 im Gulag auf Staatsanweisung umgebracht. Mit seinen Thesen hatte er auch die marxistisch-leninistische Betrachtung von Wirtschaft und Gesellschaft in Frage gestellt. 1987 wurde er posthum rehabilitiert. Bekannt blieb er durch einen anderen Querkopf der Wirtschaftswissenschaften, Joseph Schumpeter, der Kondratieffs Thesen aufgriff.
Heute bietet Kondratieffs Ansatz eine Alternative zum herkömmlichen Wirtschaftsverständnis. Entscheidend ist nicht der akademische Streit, sondern was der Perspektivwechsel für heutige Probleme bringt. Das ist das Thema von Erik Händeler, der mit seinem Buch „Die Geschichte der Zukunft“ nicht nur Kondratieff ein verständliches Denkmal setzt. Vielmehr bietet er Analysen und Perspektiven, die heute für eine nachhaltige Ausrichtung von Gesellschaft und Wirtschaft sorgen können.
Kondratieff entdeckte regelmäßige Verläufe von Wachstums- und Krisenphasen der Wirtschaft. Sie haben mit nachhaltigen technischen Entdeckungen zu tun, die Wachstumsschübe auslösen, bis diese verbraucht sind. Daher der Abschwung bis zur nächsten Megainnovation. Die letzte Erfindung war die globalisierende Informationstechnik.
Die zentrale These von Händeler im Anschluss an Kondratieff: Der nächste Wachstumsschub wird nicht mehr durch eine technische Innovation oder durch mehr harte Arbeit ausgelöst. Entscheidend wird die praktizierte Fähigkeit sein, zu kooperieren und dadurch Information besser nutzen, vernetzen und in Produkten und Dienstleistungen konkret zu machen. Kooperation indes wird nicht durch Druck oder Angstmache erreicht, sondern durch

  • Hierarchien relativierende Teamarbeit,
  • hohe Qualität psychosozialer Gesundheit und
  • faire und partnerschaftliche Kommunikation, durch die destruktive Verhaltensweisen überwunden werden.

Unternehmen und Organisationen, die diesen Qualitätssprung hinbekommen, werden nicht nur die Wirtschaftskrise gut durchstehen, sondern auch die Gesellschaft aus der Krise bringen.
Händeler bettet seine These in eine Problemskizze der aktuellen Krise ein. Zeigt, wie die vergangene Wirtschaftsweise unsere heutige Krise bestimmt. Informiert über Kondratieffs Beitrag und seine Bedeutung für die heutige Analyse. Und zeigt in der zweiten Buchhälfte Perspektiven für neues Denken und Handeln auf. Zwar geraten dabei einige Beschreibungen plakativ, gelegentlich lamoryant, doch bleibt der konstruktive Grundton konsequent erhalten. In den aktuellen Widersprüchen hätte Händeler mehr entdecken können, wie sich die Entwicklung in Richtung seiner These andeutet. Nur wenn wir sie verstehen, aufgreifen, entschieden gestalten lernen, werden wir vorwärts kommen. Nicht um die Welt effektiver zu ruinieren, sondern um unsere Erde besser zu erhalten. Hädelers Buch ist ein Kursbuch, um die Qualität zwischenmenschlicher Beziehung als wichtigste Quelle der Wertschöpfung zu entdecken. Hier liegen unsere größten Reserven, die nur gehoben werden können, wenn unser Engpass an ethischer Qualität überwunden wird.

Dr. Norbert Copray