Buchtipps

Zur Ruhe kommen

Peter Dyckhoff
Finde den Weg
Geistliche Wegweisung nach Miguel de Molinos. Don Bosco. 360 Seiten.

Wie kann eine geistliche Wegweisung nach Miguel de Molinos, der 1628 in Spanien geboren wurde, uns heute etwas zu sagen haben? Und was ist eine >geistliche< Wegweisung - klingt das nicht allzu süßlich und altbacken? Dem Pastor Peter Dyckhoff, engagierter Verfechter einer modernen und qualitativen Mystik, ist mit der Abfassung der Wegweisung nach dem Werk >Guia espiritual< von Molinos ein Meisterwerk der Spiritualität gelungen. Der Sprachstil ist modern, ohne modernistisch den kulturgeschichtlichen Horizont vergessen zu machen. Die Gedankenführung ist spirituell, ohne esoterisch-schwärmerisch zu werden. Nach Miguel de Molionos' Werk eine Wegweisung zu entwerfen, hat einen gewissen kritischen Hintersinn. Ist doch Molino in seiner Zeit eine untypische Gestalt und durch seinen Ansatz mystischer Spiritualität seiner Zeit weit voraus. Molino lebte lange Jahre bis zu seinem Lebensende in Rom. Es war, wie Dyckhoff berichtet, >sein großes Anliegen, die in rituellen Praktiken und im dogmatischen Formalismus erstarrte Religiosität wieder zu vergeistigen<. Damit stellte sich Molino gegen die Gebets- und Meditationspraktiken der Jesuiten, die Lehre und Frömmigkeit der damaligen Kirche kontrollierten. Doch obwohl Molino sein Werk durch die kirchliche Zensur der Inquisition brachte, obwohl es in kurzer Zeit in zwanzig Ausgaben in vielen Sprachen verbreitet war, obwohl namhafte Theologen sein Werk rühmten, obwohl er Priester, promovierter Theologe und ein bekannter Beichtvater war, obwohl Papst Innozenz XI. in seinem Werk und in seiner Person einen spirituellen Führer für sich sah, wurde Molino 1685 von der Inquisition verhaftet und der Ketzerei angeklagt. Der Papst verhielt sich ohnmächtig, weil er fürchtete, selbst in den Sog der Anklage zu geraten. Molino wurde der Prozeß gemacht, um alle, die seinen Weg der Spiritualität und Mystik gingen oder gehen wollten, abzuschrecken und diese Art der kirchlich nicht kontrollierbaren Frömmigkeit zu vernichten. Ein Beispiel für absoluten Amtsmissbrauch: Missbrauch der Religion zugunsten des Machterhalts. Molino wurde zu lebenslanger Haft verurteilt, obwohl ihn der Papst für gerecht und unschuldig hielt. Molino starb 1696, wobei er vermutlich durch über längere Zeit verabreichte kleine Dosen Gift umgebracht wurde.
Das Szenario, in dem Molino zu Tode gekommen ist, erinnert in vielerlei Hinsicht auch an heutige Zustände in der römischen Kirche. Die Aggression der ‚Kircheninhaber' wird um so verständlicher, wenn der Blick auf die Art der Mystik Molions und in der Wegweisung fällt. Denn für diese Wegweisung ist von zentraler Bedeutung, dass nicht kirchliche Veranstaltungen, nicht äußerliches Verhalten, nicht ritualisiertes Handeln, nicht wortreiches Gebet und nicht gläubige Annahme der Dogmen für den Weg zu Gott wirklich entscheidend und wichtig sind. Maßgeblich sind vor allem, zur Ruhe zu kommen, ins Schweigen zu finden, sein Herz zu öffnen und Gott kommen lassen. Wie das zu bewerkstelligen ist, ist diesem Buch zu entnehmen. So sind hilfreiche Unterscheidungen zwischen Gebet und Versenkung, Methoden des Ruhegebets, was Leerwerden wie in der buddhistischen Meditation und nicht das Wiederkäuen theologischer Lehre bedeutet, hilfreiche Hinweise zu den therapeutischen Wirkungen des geistlichen Weges bis hin zur Psychohygiene des Alltags zu erfahren, die Sinn machen und Frieden bringen. Wenn an wenigen Stellen von Selbstverleugnung und der Überwindung der Eigenliebe die Rede ist, dann darf dies nicht als Selbstaufgabe missverstanden werden. Es geht darum, die Fixierung auf das eigene Ich aufzulösen, die Ich-Sucht zu durchbrechen und >durch Erleuchtung eine Entwicklung unserer Persönlichkeit zu erfahren< und in Einklang mit sich selbst zu kommen. Dazu bedarf es keiner Reise nach Indien. Nicht das Christentum, sondern die Kirche hat einen aus Machtgier selbstverschuldeten Mangel an Spiritualität. Die Reise in eine kirchlich unterdrückte Spiritualität des Christentums kann zu wahren Schätzen führen.

Dr. Norbert Copray