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Prof. Dr. Dagmar Burkhart

Wenn Medien zum Pranger werden

Obwohl die finsteren Zeiten des Prangergebrauchs seit spätestens 1848 passé sind, ist dennoch eine übertragene Verwendung von Ausdrücken wie „Pranger“, „Schandsäule“ und „anprangern“ in unseren Medien zu beobachten, das heißt, die Sprache hält - wie so oft - die Erinnerung an Gegenstände und Institutionen über ihre Existenz in der Realität hinaus wach. Es geht hier v.a. um die Bereiche Politik, Wirtschaft, Sport und Kultur, wo man häufig metaphorische Redeweise bevorzugt, weil sie in ihrer Bildlichkeit publikumswirksamere Expressivität und damit Leser-Lenkung garantiert. Die Redewendung „jemanden anprangern“ bzw. „an den Pranger stellen“ klingt eben nachdrücklicher als „jemanden öffentlich anklagen“, „bloßstellen“ oder „der öffentlichen Kritik bzw. Verachtung aussetzen“. Hier einige aktuelle Beispiele aus Print-Medien:
Das beim Anti-Teuro-Gipfel beschlossene IT-Forum soll kein Pranger sein. Die Unternehmen haben immer die Gelegenheit, sich zu äußern, - diese Aussage des Sprechers der Verbraucherzentrale NRW stand Anfang Februar in allen Zeitungen. Franz Müntefering stellte in der „Bonus-Meilen“-Affäre Strafanzeige wegen Verstoßes gegen den Datenschutz, denn was „Bild“ und Bund der Steuerzahler hier betrieben, habe man im Mittelalter „Pranger“ genannt, wurde er in der FAZ zitiert. „Musterschüler am EU-Pranger“ war vor ein paar Wochen in den Tageszeitungen zu lesen, als der Bundesrepublik der „blaue Brief“ aus Brüssel drohte. Und das Hamburger Abendblatt ließ dieser Tage Vertreter der rot-grünen Koalition zu Wort kommen, die sich beklagten, durch den von der CDU/CSU beantragten Untersuchungsausschuss zum „Wahlbetrug“ solle der „politische Gegner an den Pranger gestellt werden“. Quantitativ gesehen ergibt sich ein Durchschnittswert von 22 tagesaktuellen Treffern, wenn man bei www.paperball.de das Suchwort „Pranger“ eingibt. Einzelne Zeitungen, z.B. das Boulevardblatt Hamburger Morgenpost, liegen allerdings beträchtlich über diesem Wert: So fanden sich in der MoPo in den letzten 27 Monaten 322 Artikel, d.h. 12 Beiträge pro Monat, in denen Pranger-Vokabular verwendet wurde.
Neben dieser verbalen Anprangerung im übertragenen Sinn gibt es selbstverständlich auch visuelle Medien, z.B. das politische Plakat, auf dem Missstände angeprangert werden oder das Fehlverhalten von Personen öffentlich „ausgestellt“ wird - hier als exemplarisches Beispiel das z. Zt. der „Flick-Affäre“, bei der es um Parteispenden in Millionenhöhe ging, von dem Frankfurter Grafiker Wilhelm Zimmermann geschaffene Plakat „Flicks Wickelkinder“, eine Anprangerung von Politikern, die „sich vom Geld haben einwickeln lassen“.
Der Pranger als Instrument der niederen Gerichtsbarkeit war im mittelalterlichen und neuzeitlichen Europa meist eine Säule, an dem Straffällige - Ehebrecher, Diebe, Betrüger, Meineidige, Verleumder, Dirnen, -, festgehalten durch ein Halseisen („Prange“), auf öffentlichen Plätzen zu ihrer Schande angeschlossen und der Verspottung durch die Gemeinschaft ausgeliefert wurden. War die Prangersäule erhöht und mit einem Treppenaufgang versehen, sprach man von einem Bühnenpranger. Eine andere Art von Pranger hieß „Stock“ oder „Block“ und bestand aus zwei verschließbaren Brettern oder Balken mit Aussparungen für Kopf und Hände. So stand 1703 Daniel Defoe am Pranger, und 1918 entstand die Holz-Skulptur „Mann im Stock“ von Ernst Barlach. Bei der Anprangerung handelte es sich um eine Ehrenstrafe, und zum Charakteristikum dieser Bestrafung gehörte die entehrende öffentliche Zurschaustellung von Delinquenten genauso wie die Mitwirkung der Bevölkerung - häufig im Sinne einer Volksbelustigung. Das Anprangern war also ein theatralischer Akt mit einem „Regisseur“, einem „Protagonisten“, einer „Bühne“ und dem „Publikum“. Das heißt, Regisseur war die niedere Gerichtsbarkeit, Protagonist der Delinquent, als Bühne diente der Pranger und das Publikum stellte die zum Gaffen und Verhöhnen animierte Volksmenge dar. Vorangegangen war der Anprangerung in vielen Fällen das Scheren der Haare und das Abschneiden des langen Gewands zu einem „Schandhemd“ (daher wohl die Redensart „jemandem die Ehre abschneiden) und das Aufsetzen einer Schand- oder Spottmaske. Der Zweck des Prangerstehens bestand einerseits in der Vergeltung von Straftaten, andererseits bedeutete es eine soziale Sanktion: Es sollte abschrecken und durch die Aktivierung der allgemeinen Angst vor Ehrverlust - Infamie - eine erzieherische Wirkung ausüben.
Eine nicht selten fragwürdige Revitalisierung des Prangers ist in den heutigen Möglichkeiten der Anprangerung durch audiovisuelle Massen-Medien, v.a. durch das weltweite Internet gegeben: Regisseur ist nun die durch Medien anprangernde Person oder Institution, Protagonist ist der medial Angeprangerte, als Bühne fungiert das jeweilige Medium, und das Publikum stellen die Medien-Rezipienten (Leser, Zuschauer, Zuhörer, User).
Man könnte dem ganzen Vorgang auch das von Algirdas Greimas entworfene Aktantenmodell zugrundelegen, das er in seiner „Strukturalen Semantik“ (1966, deutsch 1971) für Texte, in denen Figuren und Konflikte eine Rolle spielen, entwickelt hat:

Adressant Objekt Adressat
(begehrt)
Adjuvant Subjekt Opponent

Nun die Anwendung auf unser Beispiel: Als Subjekt agiert der um seinen guten Ruf, sein Image, sein Ansehen, seine äußere Ehre Besorgte bzw. um Wiederherstellung seines Rufs Bemühte, das begehrte bzw. gesuchte Objekt wird durch den guten Ruf (lateinisch bona fama) verkörpert, Sender oder Adressant ist das Ehrgefühl, die innere Ehre des Subjekts bzw. das Sozium, das äußere Ehre und Anerkennung spendet, Empfänger oder Adressat ist die Öffentlichkeit, flankiert wird das Subjekt von dem als Helfer (Adjuvant) agierenden Verteidiger oder Sympathisanten bzw. dem als Schädiger oder Gegner (Opponent) fungierenden Rufmörder bzw. Ehrabschneider.
Je nach Art des Subjekts kann der Akt der Anprangerung negative oder positive Konnotationen haben, d.h. der heutige Medien-Pranger erweist sich als ambivalent, abhängig von der Fundierung der Intentionen des Opponenten: Mediale Anprangerung als privater Racheakt oder im Rahmen des so genannten Sensationsjournalismus wird von der Öffentlichkeit als Schmutzkampagne, Diffamierung und insofern ungerechtfertiger Angriff auf die Ehre einer Person empfunden. Im Gegensatz dazu stößt die Pranger-Methode, d.h. öffentliche Kritik an und Entlarvung von Missständen (z.B. durch den „Teuro“-Pranger) oder Verfehlungen von Amtsinhabern und Funktionsträgern, in der Regel auf Verständnis, ja Sympathie der Öffentlichkeit. Diese von der Mehrheit als berechtigt empfundene Anprangerung, durch die eine breite Medienöffentlichkeit hergestellt wird, ist entweder Resultat eines kritisch enthüllenden, investigativen Journalismus, oder aber das Ergebnis der Recherchen von Institutionen (z.B. der Fairness-Stiftung) oder Medienfirmen (beispielsweise „Grid-Patrol“ in Hamburg), die sich um Aufdeckung bzw. Abwendung von Ruf- und Image-Schäden bemühen.
Bei den von Anprangerung Betroffenen lassen sich unterschiedliche Reaktionen beobachten: Die meisten der Angeprangerten, v.a. wenn sich die öffentliche Kritik zum Skandal entwickelt, reagieren nach anfänglichen Trotzreaktionen panisch (Hans Mathias Kepplinger liefert in seinem Skandal-Buch anschauliche Beispiele!): sie greifen zur Lüge (siehe den Hamburger Wirtschaftsstaatsrat Schlegel, der von Ölhändler Lutter mehrfach Geld angenommen hat, dies aber anfangs vehement bestritt), sie scheuen selbst vor einem (falschen) Ehrenwort nicht zurück (siehe Barschel) oder versuchen die „Wahrheit“ zu beweisen, notfalls auch durch Mittel, die sie eigentlich für falsch halten und die sich später oft auch als falsch erweisen (vgl. den Fußballtrainer Daum mit seiner Haaranalyse), oder aber die Angeprangerten schlagen eine aggressive Vorwärtsstrategie ein (siehe Ex-Mannesmann-Chef Esser, der das Land NRW auf 100000 € Schadensersatz wegen Rufschädigung und weitere 100000 € Schmerzensgeld verklagte). Andere wiederum, und das ist wohl eine Minderheit, zeigen sich von Anfang an geständig. Dies war der Fall im bislang größten - von der investigativen Journalistin Beate Daum aufgedeckten - Bilanzfälschungsskandal in Deutschland um die Firma „Comroad“, wo der Angeklagte und inzwischen zu sieben Jahren Haft verurteilte Bodo Schnabel bereits bei seiner ersten Vernehmung zu Protokoll gegeben hatte, er wundere sich selbst darüber, dass seine Schwindeleien niemandem aufgefallen seien.
Bei der Institution des so genannten „Internet-Prangers“, der wohl spektakulärsten Anprangerungsmethode, muss zwar niemand mehr leibhaftig Prangerstehen. Wohl aber geht es auch heute um soziale Bestrafung durch Diskreditierung und potentielle Stigmatisierung der Betroffenen. Und es handelt sich um problematische Akte der Selbstjustiz, die dem staatlichen Gewaltmonopol zuwiderlaufen. So wird im Bereich des digitalen oder virtuellen Prangers - vor allem anonym - gegen Behörden oder Einzelpersonen gewettert, gegen Firmen wegen schlechter Serviceleistungen bzw. „falscher“ Rechnungen und gegen säumige Schuldner, das heißt, Kunden, die ihre Rechnungen nicht beglichen, oder Mieter, die ihre Miete nicht bezahlt haben. Ihr Name wird - so lautet die Drohung - unter Angabe des „Vergehens“ in das weltweite Netz gestellt - so wie in New York bereits mit Verkehrssündern geschehen. Unter der Rubrik „Schuldner im Internet“ bot z.B. 2001 ein schleswig-holsteinischer Finanzdienstleister einen einschlägigen Service an: Wer Probleme beim Durchsetzen einer titulierten Forderung hatte, sollte dieser Forderung mit der Drohung der Veröffentlichung im Internet Nachdruck verleihen können. Der Betrieb des Dienstes wurde kurz nach dessen Aufnahme - und das zeigt die seit etwa einem Jahr zu beobachtende Eindämmung des IT-Prangers in Deutschland - wieder vom Netz genommen, nachdem das Landeszentrum für Datenschutz Schleswig-Holstein rechtliche Konsequenzen wegen des datenschutzwidrigen Angebots androhte (§ 48 des Datenschutzgesetzes „Widerrechtliche Offenbarung“). Noch vor nicht allzu langer Zeit wurde der Fernseh-Showmaster Michael Schanze auf der privaten Hass-Seite eines Users aus Mainz der Pädophilie bezichtigt und erstattete Anzeige - mit Erfolg: Der Homepage-Betreiber musste seinen Eintrag entfernen. Weniger Glück hatte Franz Josef Wagner, Chefredakteur der B. Z.: Er fand sich auf anonymen Hass-Seiten unzufriedener Redakteure wieder, die von gefälschten Schlagzeilen und persönlichen Fehltritten berichteten. Die Branche tratschte, und Wagner, der heutige Bild-Kolumnist, war machtlos, denn die Verfasser ließen sich nicht ermitteln. Ein anonymer Bankangestellter/-e prangert seinen/ihren Chef auf der Internet-Seite www.rache-ist-suess.de als „Pornoprokuristen“ an, der sich mit Herstellung und IT-Vertrieb von Pornos zusätzlich Geld verdiene. Das obere Bild zeigt die grotesk verfremdete Figur, wobei das Konterfei des Prokuristen durch einen Balken unkenntlich gemacht ist. Darunter befindet sich ein Eintrag, in dem „Der Große Unbekannte“ ein Unternehmen für Sicherheitssysteme anprangert. Björn Joerges, der Betreiber der IT-Seite, kann heutzutage, nach Verschärfung der juristischen Ahndung von Verstößen gegen das Persönlichkeitsrecht (GG Art. 5 Abs.2) im Netz, viele Beiträge, v.a. solche, in denen die diffamierten Firmen oder Personen namentlich genannt werden und somit identifizierbar sind, nicht mehr veröffentlichen. Deshalb reiten Rache-Seiten - wie beispielsweise die Site www.boesetaten.de oder www.rache-ist-suess.de selbst zunehmend auf der „Spaßwelle“ (siehe den Zusatz unten auf der Web-Site) und treten als „fun-pages“ auf. John Punishers „Schwarzbuch der Rache“ bietet dazu ab 13.12.02 - falls nötig - Formulierungshilfe an.