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Sensationelles Anti-Mobbing-Urteil

Kommentar von Rechtsanwalt Hans-Georg Rumke,
Fachanwalt für Arbeitsrecht, zur Musterentscheidung des Landesarbeitsgerichts Thüringen

Erstmals hat sich ein deutsches Berufungsgericht in einer Musterentscheidung ausführlich mit dem Thema Mobbing auseinandergesetzt. Es hat dabei nicht nur einen konkreten Fall rechtskräftig entschieden, sondern allgemeine rechtsverbindliche Grundsätze aufgestellt. Auf 50 Seiten setzt sich das Landesarbeitsgericht Thüringen mit dem Begriff Mobbing und seiner Abwehr auseinander. Darüber hinaus stellt es allgemeine Grundsätze eines fairen Verfahrens beim "Mobbing-Rechtsstreit" auf. Durch diese bahnbrechende Entscheidung wurde der Weg geebnet endlich gegen Mobbing-Angriffe wirkungsvoll vorzugehen.

Bislang scheiterten Mobbing-Klagen vor den Arbeitsgerichten häufig daran, dass die betroffenen Mobbing-Opfer keine konkrete Rechtsvorschrift benennen konnten, die Mobbing-Angriffe verbietet. Darüber hinaus waren die Mobbing-Opfer oft nicht in der Lage, ihre Beschuldigungen vor Gericht zu beweisen. Die Folge war, dass die meisten Klagen von den Arbeitsgerichten abgewiesen wurden.

Das Landesarbeitsgericht Thüringen stellt nun für alle anderen Arbeitsgerichte grundsätzlich verbindlich fest, dass jeder Arbeitgeber verpflichtet ist, die bei ihm beschäftigten Arbeitnehmer vor Eingriffen in die Persönlichkeits- und Freiheitssphäre zu schützen. Dabei sei es unerheblich, ob die Angriffe von anderen Mitarbeitern oder Dritten oder dem Arbeitgeber selbst kämen. Das Grundgesetz schütze in Art. 1 und 2 GG das Recht auf Achtung der Würde und die freie Entfaltung der Persönlichkeit eines jeden einzelnen Bürgers. Dies gelte auch für den beruflichen Bereich. Der Schutz des allgemeine Persönlichkeitsrechts sei im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses eine Nebenpflicht aus dem Arbeitsvertrag. Deshalb verstoße ein Arbeitgeber gegen seine arbeitsvertraglichen Pflichten, wenn er innerhalb des Arbeitsverhältnisses das Persönlichkeitsrecht eines Arbeitnehmers verletze.

Der betroffene Arbeitnehmer habe bei drohenden Eingriffen in sein Persönlichkeitsrecht einen vorbeugenden Unterlassungsanspruch. Sei dessen Persönlichkeitsverletzung bereits eingetreten, habe er einen Rechtsanspruch auf Unterlassung weiterer Eingriffe. Unter Umständen könne auch die Zurückbehaltung der Arbeitsleistung nach § 273 Abs. 1 BGB (bei Fortzahlung der Vergütung) in Betracht kommen.

Das Landesarbeitsgericht Thüringen setzt sich auch eingehend mit dem Begriff "Mobbing" auseinander. Die Zahl der Mobbing-Opfer werde in Deutschland auf 1,5 Mio. geschätzt. Zehn Prozent der Selbstmorde sollen auf Mobbing zurückzuführen seien. Der durch Mobbing entstehende Produktionsausfall soll in Deutschland bei etwa 25 Milliarden DM liegen. Bei "Mobbing" handele es sich nicht um einen juristische Tatbestand, sondern um einen Sammelbegriff für Verhaltensweisen, die je nach Sachlage für die Betroffenen rechtliche, gesundheitliche und wirtschaftliche Auswirkungen haben könnten. Aus arbeitsrechtlicher Sicht sei Mobbing "das systematische Anfeinden, Schikanieren und Diskriminieren von Arbeitnehmern untereinander oder durch Vorgesetzte". In der Regel gehe es um die Verletzungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, der Ehre oder der Gesundheit des Betroffenen und die darauf gestützten Abwehr-, Schadenersatz- und ggf. Schmerzensgeldansprüche. Regelmäßig spreche für das Vorliegen von Mobbing der zunehmende Druck auf das Mobbingopfer und der eskalierende Geschehensablauf verbunden mit dem sich verschlechternden psychischen und physischen Gesundheitszustand des Mobbingopfers.

Allerdings würde vor Gericht die bloß schlagwortartige Behauptung des Vorliegens von Mobbing nicht ausreichen. Vielmehr müssten die Einzelheiten konkret vorgetragen werden, so daß sich aus diesen entsprechende Rückschlüsse ziehen ließen.

Vielfach seien die Betroffenen vor Gericht in Beweisnot, weil die Mobbing-Angriffe in der Regel ohne Zeugen erfolgten. Diese Beweisnot sei nach den Grundsätzen eines fairen und auf Waffengleichheit achtenden Verfahrens auszugleichen. Das Gericht dürfe sich bei der zur Wahrheitsfindung nach § 286 Abs. 1 ZPO notwendigen Überzeugungsbildung nicht mit einer bloßen Wahrscheinlichkeit begnügen, sondern müsse sich persönliche Gewissheit verschaffen. Dabei sei auch die im Zweifel erforderliche Anhörung einer Partei von Amts wegen nach § 141 Abs. 1 ZPO zu berücksichtigen.

In dem vom LAG Thüringen entschiedenen Fall hatte der Arbeitgeber einen direkt unterhalb der Vorstandsebene angesiedelten Arbeitnehmer einer Bank mit z.T. sinnlosen und unlösbaren Aufgaben beschäftigt, ihm eine Reihe von Abmahnungen zukommen lassen, ihn suspendiert und schließlich auf eine 6 Gehaltsstufen niedriger bewerteten Stelle versetzt. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass der Arbeitgeber die nervliche und damit gesundheitliche Zermürbung des Mitarbeiters gezielt beabsichtigt hatte, um diesen zur Selbstaufgabe seines Arbeitsplatzes zu bewegen.
(vgl. Thüringer Landesarbeitsgericht, Urteil vom 10.04.2001 -5 Sa 403/2000)

Das Urteil ist rechtskräftig.

RA Hans-Georg Rumke, Fachanwalt für Arbeitsrecht

Hans-Georg Rumke hat zusammen mit Wolfgang Galdja, Wolfgang Stuhlmann und Michael Schmitz das Buch "Aufhebungsverträge und Abfindungen" (Verlagsgruppe Rehm München 2001, inkl. CD-ROM. 98 DM) veröffentlicht. Das Buch gibt auch solide Auskünfte für den Fall, dass im Fall unfairer Attacken wie Mobbing u.ä. ein Aufhebungsvertrag zu schließen und Abfindungen zu zahlen sind.

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