Buchtipps

Pseudomärkte wohin man schaut

Vom Unfug, Qualität in Quantität zu verwandeln

Mathias Binswanger
Sinnlose Wettbewerbe
Warum wir immer mehr Unsinn produzieren. Herder. 240 Seiten. 19,95 €

Wer einmal in der Vorweihnachtszeit mehrere Salven Werbefernsehen über sich ergehen lässt oder einen Bummel durch ein Einkaufszentrum mit über 120 Geschäften macht, wird leicht erkennen, dass und wie viel Unsinn produziert wird. Abgesehen davon, dass dabei Ressouren in ungeheuerlicher Menge verschleudert und Fähigkeiten von Menschen vergeudet werden, ist damit auch ein unglaubliches Ablenkungsmanöver von den wesentlichen Dingen im Leben verbunden. Doch das beantwortet noch nicht die Frage, warum wird immer mehr Unsinn produziert.
Dieser Frage hat sich der Ökonom Mathias Binswanger angenommen, der sie in seinem neuen Buch eingehend und verständlich beantwortet. Binswanger verdeutlicht, dass es den häufig behaupteten Marktwettbewerb nur im Idealfall in Lehrbüchern gibt und in der Realität nur selten. Doch der Glaube an den Markt und den Wettbewerb ist stark, wird enorm gepflegt und verbreitet: „Allgemein herrscht unter den Wettbewerbsenthusiasten die Ansicht, dass Wettbewerbe auch ohne Märkte für optimale Resultate sorgen“. Weil man schon kein genaues Auge dafür hat, wie extrem und oft in Unternehmen, in Konzernen ohnehin, die Planwirtschaft von oben nach unten ausgeprägt ist, sieht man auch nicht, wie unzureichend die Marktwirtschaft mit ihren Wettbewerbsstrukturen wirklich funkioniert. Oder würde jemand den Mobilfunkmarkt als einen echten, transparenten und für Verbraucher gut händelbaren Markt bezeichnen wollen? Oder gar den Lebensmittelmarkt? Oder den Energiemarkt?
Die Illusion der Wettbewerbsverfechter ist laut Binswanger: Effizienz oder gar Exzellenz gibt es nur durch Wettbewerb. Und wo keiner ist, muss er künstlich geschaffen werden. So wollten Regierungen „durch künstlich inszenierte Wettbewerbe auf Pseudomärkten“ Institutionen entbürokratisieren. Die allbekannten Unternehmensberatungen übernahmen die Umsetzung. Auch in den Unternehmen wurden interne Wettbewerbsmärkte geschaffen, um angeblich Leistungsergebnisse vergleichbar und verrechenbar zu machen. Instrumente dafür: Kennziffern, Rankings, Wettkämpfe. Bis die künstliche Wettbewerbssituation sich selbst verstärkt und zum Selbstzweck wird. Dabei spielt der Messbarkeitswahn eine große Rolle, der die Leistungsgesellschaft prägen und Leistungen aller Art vergleichbar machen soll. So dass Binswanger zu der begründeten Erkenntnis kommt, „wie die Messung von Leistung mit Hilfe von Kennzahlen perverses Verhalten erzeugt“. Qualitative Leistung lässt sich nicht quantitativ messen, mit keiner Methode. Binswanger bohrt die praktizierten Verfahren auch für Laien auf und zeigt ihre enormen Schwächen, die nicht zu beherrschen sind. Was effizient sein sollte, gerät schnell zur Kosmetik bester Praxis. Was exzellent sein soll, entpuppt sich als Glanz einer gekonnten Verpackung. An Hand der Pseudomärkte Bildung, Wissenschaft und Gesundheitswesen analysiert und kommentiert Binswanger brilliant nicht nur den Unsinn der Produktion von immer mehr Abschlüssen und Studenten, von immer mehr Publikationen und Rankings, von immer mehr Untersuchungen und Medikamentenvergaben. Sondern Binswanger zeigt auch, wie viel Unfung in dem Weg zum diesem Unsinn steckt. Das Ruder herumzureißen bedeutet: Qualität, Effizienz und Exzellenz anders verstehen.  Verantwortung setzen anstelle von Zahlenkolonnen. Geldmittel an Akteure in Bereichen anders verteilen, wo Märkte keinen Sinn, aber viel Unsinn machen.

Dr. Norbert Copray