Buchtipps

Jenseits der Funktionalität

Stichwort:
Lebenssinn

In einer schweren Krise ließen Carlo Fruttero und Franco Lucentini >verschiedene Religionen Revue passieren, untersuchten drei oder vier fortschrittliche und utopische Ideologien, studierten gründlich einige der berühmtesten antiken und modernen ‚Tröstungen der Philosophie'<. Doch eine schlüssige Antwort auf ihre Frage nach dem Sinn des Lebens konnten sie nicht entdecken. So beginnt der sartirische Erfolgsroman des italienischen Autorenduos >Der rätselhafte Sinn des Lebens<. Fruttero und Lucentini begreifen den Menschen als einen Sinnsucher, der an kein Ende kommt, der stets mitten in der Suche stecken bleibt, weil die Ereignisse und die Notwendigkeiten des Lebens wichtiger sind als den Gesamtsinn des Lebens zu enträtseln. Dazu kommt ein merkwürdiger Widerspruch: Während den Menschen der Sinn ihres Lebens knapp wird, überschlagen sich die Sinnanbieter mit ihren Angeboten an die Menschen. In seinem Buch >Wenn Sinn knapp wird< zeigt Jürgen August Alt, wie die Entzauberung der Welt, der Geschichte, des Wissens durch Wissenschaft, Technik und moderne Gesellschaft zu einem Mangel an Sinn geführt hat. Große, kosmologische Sinnzusammenhänge seien zerbrochen, das Bedürfnis des Menschen nach Sinn sei irritiert. Die neue Sinnsuche gebe sich mit kleinen Sinnwelten zufrieden oder reaktiviere religiöse Orientierungsversuche. Doch viele Menschen sähen in religiösen Sinnangeboten keine Hilfe mehr. Religionen würden den Menschen zu weitreichende, umständliche Annahmen zumuten, damit sich ihnen Lebenssinn erschließe. Alt setzt die Menschen auf >Sinn-Diät< und fordert, das Übermaß unseres Sinnanspruchs zurückzunehmen. Dazu gehöre auch, die Sinn-Idee zu entdramatisieren, sie nicht an Sensationelles oder Außergewöhnliches zu binden. Alts Buch >über das gelingende Leben< ist eine Provokation für religiöse Sinntraditionen, die den Lebenssinn für alle Menschen mit einem Schlag geklärt wissen wollen. Gegen diesen Anspruch wendet sich auch Bernulf Kanitscheider in seinem Bändchen >Auf der Suche nach dem Sinn<, der den Menschen aufgrund heutiger Einsichten in die Prozesse des Universums eine >Lehre in Bescheidenheit< erteilt. Der Mensch müsse sich selbst nach Sinn befragen und könne die fertige Antwort weder aus der Wissenschaft noch aus der Betrachtung des Kosmos oder der Natur noch aus metaphysischen Traditionen erwarten. Gleichwohl bleiben die Religionen >die Schatzkammer des Sinns<, wie Norbert Bolz in seiner >Sinngesellschaft< formuliert. Sie stellten >Transzendenzmotive< zur Verfügung und unterschieden damit das Normale von der Ausnahme. So kümmere sich die Religion um die Begrenztheit des Lebens, die sich nicht in Sinn verwandeln lasse, wie Tod, schwere Krankheit, Schicksalsschläge, alles, was nicht im Sinne der modernen Gesellschaft funktional zu verstehen sei. Doch damit flüchte der Mensch letztlich aus der modernen Gesellschaft, flüchte die moderne Komplexität. Mit einem modisch gewordenen Seitenhieb auf die Kirchen, die mehr Ahnung von Hungernöten in Afrika als von der Apokalypse hätten, bescheinigt Bolz den Kirchen ungenügende Fluchtperspektiven. Was sich bei Bolz wie eine Mischung aus treffsicherer Zeitgeistdiagnose, Bewerbungsschreiben zur Einladung auf Firmen- und Behördenveranstaltungen, flappsigen Mißverständnissen religiöser und philosophischer Positionen sowie nicht zu Ende gedachten Kurzststatements liest, ist selbst Ausdruck der von Bolz erfaßten >Sinngesellschaft<: >Verwerte Dich selbst!<. Sinn wird gefunden, indem Sinn gemacht wird. Und was liegt näher als sich selbst zum Sinn zu machen. ‚Das macht Sinn' oder noch besser: ‚Ich mache Sinn' ist die ideale Identifizierung von Selbstverwirklichung und funktionaler Verwertungsgesellschaft. Sinn reduziert auf Nutzen ist funktionaler Wert in einer totalitären Systemwelt, verweist bestenfalls auf noch nicht genutzte Möglichkeiten. Bolz hat den modernen Sinnbegriff verstanden und für sich gleich umgesetzt. Ganz im Sinne seines Lehrers Niklas Luhmann bescheidet sich das Buch mit mehr oder weniger gekonnter Beobachtung. Eine Perspektive kann und will es nicht bieten. Dagegen läßt sich nicht einfach der Überschuß religiöser Sinnantworten setzen. Wie Thomas Nagel in seinem Büchlein >Was bedeutet das alles?< zur kurzen Einführung in die Philosophie schließlich über den Lebenssinn anmerkt, muß eine religiöse Antwort nicht beruhigend sein. Wer glaube, der Sinn des Lebens bestehe darin, Gottes Gebote zu erfüllen und Gott nach dem Tod auf immer nahe zu sein, der verbiete sich nur das Weiterfragen: >Und warum das?< Sinn werde mit Gott gleichgesetzt. Doch man müsse sich das Denken verbieten, wenn man nicht weiterfrage: Worin besteht der Zweck Gottes? Nagel: >Wenn der Gott unserem Leben einen Sinn geben soll, den wir nicht verstehen können, so ist das ein schwacher Trost<. Der umfassende Sinn bleibt unverständlich, so daß wir nur innerhalb unseres Lebens Sinn finden und stiften können. Dem eigenen Leben eine zufriedenstellende Bedeutung abzugewinnen, ist das Anliegen des Doppelbuches >Beruf und Lebenssinn in Einklang bringen< von Dieter Mueller-Harju und Hajo Noll. Das Buch ist geteilt und kann von hinten und vorn gelesen werden. Geboten werden in Seminaren bewährte Orientierungen und meditative Anleitungen. Den >Hunger nach Sinn< zu verstehen, ist die Absicht des Buches von Ursula Wirtz und Jürg Zöbeli. Vor dem Hintergrund psychotherapeutischer Praxis mit gefolterten, schwer traumatisierten und leidenden Menschen wird umfassend und in bester Qualität über die Motive, die Bedürfnisse, die Antwortversuche und die moderne Sinnkrise des Menschen Auskunft gegeben. Die Positionen der Psychotherapien zur Sinnfrage von der Psychoanalyse über die Logotherapie bis zur Feministischen Psychotherapie werden beschrieben, ehe Religion und Spiritualität ins Spiel kommen. Doch besonders das Christentum ist keine einfache ‚Schatzkammer des Sinns'. Darauf macht der von Johann Baptist Metz herausgegebene Band >Landschaft aus Schreien< aufmerksam, in dem es um die >Dramatik der Theodizeefrage<, um das Leid angesichts Gottes geht. In seinem Beitrag dazu überlegt Metz, daß die Leidempfindlichkeit verdrängt wurde als das Christentum zur Theologie wurde. Metz will einer theodizeeempfindlichen Sprache, Gotteserfahrung und Praxis auf die Beine zu helfen. Entscheidend ist die Weigerung, sich mit anscheinend sinnlosem Leid einverstanden zu erklären. Eine einfache Sinngebung ist christliche Religion nicht. Sie hält die Sinnfrage offen, unterstellt laut Bolz, daß die Frage nach Sinn Sinn hat, - und widerspricht dem reinen Zweck- und Funktionsdenken. Religion legt so die Wunde unserer bloßen Nutz- und Tauschgesellschaften offen. Ein Hoffnungszeichen.

Dr. Norbert Copray


Rezensierte Bücher:

Jürgen August Alt: Wenn Sinn knapp wird. Campus. 211 Seiten.

Norbert Bolz: Die Sinngesellschaft. Econ. 256 Seiten.

Carlo Fruttero/Franco Lucentini: Der rätselhafte Sinn des Lebens. SP 2332.

Bernulf Kanitscheider: Auf der Suche nach dem Sinn. it 1748.

Johann Baptist Metz (Hg.): >Landschaft aus Schreien<. Grünewald. 143 Seiten.

Dieter Mueller-Harju/Hajo Noll: Beruf und Lebenssinn in Einklang bringen. Kösel. 280 Seiten.

Thomas Nagel: Was bedeutet das alles? Reclam 8637.

Ursula Wirtz/Jürg Zöbeli: Hunger nach Sinn. Kreuz. 358 Seiten.