Buchtipps

Hilft Entschleunigung?

Stichwort
Zeit

Ist es nicht widersinnig zu sagen: "Ich habe keine Zeit"? Dafür habe ich keine Zeit, müsste es heißen. Denn jeder Mensch hat Zeit, es fragt sich nur, wofür. Mitunter geraten die Prioritäten etwas durcheinander, sind es etwas viele Projekte, Ideen und Ansprüche für einen 24-Stunden-Tag. Oftmals geben Menschen leichtfertig ihre Zeit her, ohne zu prüfen, ob der Wert ihrer Zeit aufgewogen wird. Denn Zeit ist "das einzige, was uns gehört", wie Bodil Jönsson in ihrem Bändchen "Zeit - Wie man ein verlorenes Gut zurückgewinnt". Natürlich ist der deutsche Untertitel unsinnig, denn allenfalls kann man die Verfügungsgewalt über die eigene Zeiteinteilung zurückgewinnen. Dazu schlägt Jönsson eine "Zeitbereinigung" vor, ähnlich der landwirtschaftlichen Flurbereinigung. Für eine solche Zeitbereinigung braucht es orientierende Maßstäbe. Wie Jönssen so wollen auch andere Autoren vor allem zu einer Besinnung auf die Bedeutung der Zeit und ihrer Orientierung einladen. So Karlheinz A. Geißler, dessen herrlicher Band "Zeit - verweile doch" inzwischen als Taschenbuch erschienen ist. Dazu gesellt sich sein neues Buch "Vom Tempo der Welt", das die verschiedenen Zeitbegriffe und -gefühle von der Vormoderne bis zur Postmoderne Revue passieren lässt. Er macht darin auf den "Zeitwohlstand" aufmerksam: "Eigentlich weiß jeder Mensch, was Zeitwohlstand ist und wie er gelebt werden könnte. Er nimmt sich nur wenig Zeit dafür, dieses Wissen in die Praxis umzusetzen". Zeitwohlstand auszukosten setzt Zeit für die Zeit voraus. Dabei helfen Bücher wie "Vom natürlichen Umgang mit der Zeit" von Friederun Pleterski und Renate Habinger. Dieser prächtige Bildband mit einer Fülle von Informationen und Anregungen stimmt schon bei der Lektüre ruhiger, stimuliert die Sehnsucht nach besserem Umgang mit der eigenen Zeit und führt zur Steigerung von Lebensqualität, wenn die Sehnsucht umgesetzt wird. Pleterski hat ein Kapitel "Die innere Uhr" genannt so wie das Buch von Jürgen Zulley und Barbara Knab "Unsere innere Uhr" heißt. Doch wie das Autorenpaar darlegt, ist der Begriff "innere Uhr" unzutreffend. In ihrem viele Aspekte von Zeit, Schlaf, Rhythmen, Lebensalter und Zeitgeber behandelnden Buch zeigen sie, dass besser von "Rhythmusgeneratoren" die Rede ist, weil einzelne Körperzellen, Organe und die Körpersteuerung eigene Rhythmen haben. "Innere Uhr" führt in die Irre, als seien unsere inneren Prozesse mit unserer mechanischen Zeitmessung verkoppelt. Besser sprechen wir von "natürlichen Rhythmen", die wir verstehen, nutzen und gegen unsere Non-Stop-Gesellschaft richten können. Dazu rät auch Inge Hofmann in "Faulheit ist das halbe Leben", die vorwiegend aus ernährungsphysiologischer und gesundheitlicher Sicht den Energiehaushalt des Menschen betrachtet und Entschleunigung empfiehlt. Radikal wird ein solcher Prozess, wenn sich ein Mensch ein Sabbat-Jahr gönnt. Neben Taschenbüchern zum Thema findet sich in Anke Richters "Aussteigen auf Zeit" ein Handbuch mit allen wesentlichen Hinweisen, die zu bedenken sind, wenn jemand vorhat, länger als eine Urlaubszeit aus dem Job auszusteigen. In gewisser Weise können auch Aufenthalte in Kur, Sanatorium oder psychosomatischer Klinik so verstanden werden. "Psychische Gesundheit hat", wie Annemarie Jost in ihrem Buch "Zeitstörungen" vermerkt, "mit der Gestaltung der eigenen Zeit zu tun". Deshalb untersucht sie "Zeitstörungen" in psychotherapeutischer und psychiatrischer Sicht, was zu einem ungemein originellen, dichten und zukunftsweisenden Buch geführt hat. Ihm zu Folge müssen auch Kliniken und Psychotherapien viel mehr Zeitbewusstsein im Blick auf den Patienten entwickeln, dem sie ihre Prozesse und Strukturen mehr anpassen, um hilfreicher zu wirken. Zur Vorbeugung von Zeitstörungen heißt das: sich eine Umgebung und ein Umfeld schaffen, in der eigene und fremde Zeit flexibel und harmonisch miteinander verflochten sein können und dem Außendruck letztlich unbefriedigender und krankmachender Reize standhalten können.

Dr. Norbert Copray


Rezensierte Bücher:

Karlheinz A. Geißler: Vom Tempo der Welt. Herder-Spektrum. 219 Seiten. ; Zeit - verweile doch... Herder-Spektrum 4875.

Inge Hofmann: Faulheit ist das halbe Leben. Mosaik. 158 Seiten.

Bodil Jönsson: Zeit - wie man ein verlorenes Gut zurückgewinnt. Kiepenheuer und Witsch. 164 Seiten.

Annemarie Jost: Zeitstörungen. Psychiatrie. 255 Seiten.

Friederun Pleterski / Renate Habinger: Vom natürlichen Umgang mit der Zeit. Brandstätter. Großformat. 152 Seiten.

Anke Richter: Aussteigen auf Zeit. Vgs. 160 Seiten.

Jürgen Zulley/Barbara Knab: Unsere innere Uhr. Herder-Spektrum. 223 Seiten.